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  • Hintergrundbild 1: Das IGfB-Team © angelicajaud.com
  • Hintergrundbild 2: Beratungsgespräch © angelicajaud.com
  • Hintergrundbild 3: Beratungsgespräch © angelicajaud.com
  • Hintergrundbild 4: Workshop © angelicajaud.com
  • Hintergrundbild 5: Beratungsgespräch © angelicajaud.com

Ich setze mich wieder an den PC und fühle mich gut. Ich bin ein guter Papa. Ich habe langsam den Dreh bei dieser Homeoffice-Sache heraus. Habe mir Zeit für ein angenehmes Mittagessen mit meinem Sohn genommen, fühle ich mich jetzt gut in meiner Haut. Noch ein paar Dinge erledigen, damit ich den Tag ausklingen lassen und mich abends entspannen kann. Dann ruft meine Freundin an und fragt, ob ich ihrer Tochter helfen kann. Nach ein paar Minuten hat sie ihre Aufgabe geschafft und  mein 16-jähriger erscheint in der Tür.

"Ich muss mein Biologieprojekt mit dir besprechen, ich kenn mich da nicht aus!“ 

Ich spüre wie der Frust in mir steigt. Ich will vor meinem nächsten Termin noch etwas fertig machen. Schon wieder eine Störung! "Wir haben gerade eine Stunde zusammen zu Mittag gehabt. Du hättest da was sagen können. Ich muss jetzt weiterarbeiten. Lass uns später reden". Einen kurzen Moment lang, spüre ich, dass mein Stresspegel wieder sinkt, und ich bin insgeheim stolz darauf, dass ich eine gewisse Struktur aufrechterhalte und mich auch um meine Bedürfnisse kümmere. 

"Aber ich brauche jetzt Hilfe"!

"Ja, aber ich habe einen Termin, der in 20 Minuten beginnt, und möchte vorher noch etwas erledigen!

"Du hast nie Zeit für mich! Du interessierst dich nie für das, was ich tue. Du hast immer Zeit für andere. Aber nicht für mich!"

Ich spüre wie die Wut in mir aufsteigt. Bevor ich noch meine innere Kernschmelze stoppen kann, schaue ich mir zu, wie ich wie ein Vulkan über meinen 16-jährigen Sohn ausbreche. „Nie! Du hast keine Ahnung, wie viel ich für dich tue. Du merkst es nie, wenn ich mir Zeit nehme, dir zu helfen. Du siehst immer nur das, was ich nicht tue! Du... du… du…!!!!"

Ich brauche die Geschichte nicht fertig zu erzählen, damit ihr wisst, wo sie endete. Ich höre noch immer das Zuschlagen seiner Zimmertür. Ich spüre die intensive Wut und Frustration; das Gefühl nicht verstanden zu sein.  Die Ruhe eines angenehmen gemeinsamen Mittagessens, nur 10 Minuten zuvor - eine ferne Erinnerung. Was bleibt, sind die Trümmer eines Zusammenbruchs unserer Beziehung. Alle beide haben wir uns hinter die Mauern der Wut zurückgezogen. Meine Hoffnung auf einen effektiven Nachmittag ist dahin! Ich schaffe es, die kurze Skype-Konferenz zu überstehen und gehe nach draußen, in der Hoffnung, meinen Kopf frei zu bekommen.

Was ist gerade passiert?

Wie konnte ich so ausflippen? Alles schien so gut? Ich bin in letzter Zeit viel besser mit seinen Launen fertig geworden. Warum hat mich das gerade so hart getroffen?

Ich bin wütend. Aber erste Risse erscheinen in meinem harten Panzer. Ich zweifle an mir selbst. Bin ich wirklich ein guter Vater? Habe ich nie Zeit für meinen Sohn? Interessiere ich mich wirklich nicht für das, was er tut? Während ich gehe, beginne ich zu befürchten, dass etwas daran wahr sein konnte. Ich bin oft nicht zu 100% anwesend oder völlig daran interessiert, was er in der Schule macht. Meine Gedanken drehen sich oft um berufliche Probleme, ganz zu schweigen von den Rechnungen, die zu bezahlen sind, der Reparatur des Autos, dem Haushalt und allem anderen, was zum Alltag dazu gehört.

Jetzt wird aus meiner Wut ein Schuldgefühl. Jetzt fühle ich mich wie ein schlechter Vater. Ich lasse meinen Sohn im Stich. Eine weitere Erwartung kommt zu der langen Liste von Dingen hinzu, die ich tun/können/schaffen muss, um ein guter Vater zu sein: immer für meinen Sohn da sein, wenn er Hilfe braucht. Immer.  Damit er sich nie vernachlässigt fühlt. 

Es ist hoffnungslos

Und dann: Es ist zu viel. Zu viel Druck. Wie soll das jemals gehen? Ich werde es nie schaffen, ihm alles zu geben, was er braucht. Ich werde nie ein guter Papa sein! 

Ich bleibe stehen. Setze mich an einen Fluss. Ich bin erschöpft. Ich sehe das Wasser vorbeifließen. Die warme Sonne verlangsamt meine Gedanken. Ich kippe für 10 Minuten weg. 

Als ich aufwache, scheint sich der Nebel im Kopf ein wenig aufgelöst zu haben. Ich fühle mich weicher. Irgendwie freundlicher zu mir selbst. Vielleicht liegt es an dem kurzen Nickerchen. 

Was auch immer diese Änderung hervorgebracht hat, ich kann jetzt deutlich sehen, dass es wirklich hoffnungslos ist.  Ich kann nicht mehr "tun"!  Ich schaffe es nicht, alles zu tun, was mein Sohn erwartet oder sogar braucht, um zufrieden zu sein. Ich werde nie ein perfekter Vater sein. Ja, es ist hart, ihn enttäuscht oder verärgert zu sehen. Und ja, es ist noch härter, wenn er mir vorwirft, dass ich schuld daran bin, dass er sich so fühlt. Und das Härteste daran ist, dass ich ja wirklich ständig versuche, Dinge zu tun, die ihn glücklich machen. Und das Gefühl, als Elternteil versagt zu haben ist fast unerträglich.

Aber es ist einfach nicht möglich. Ich werde nie in der Lage sein, dafür zu sorgen, dass er immer zufrieden ist. Schon gar nicht als 16-jähriger, dessen Stimmungen alle 5 Minuten schwanken.

Irgendwie weiß ich tief im Inneren, dass mein Versuch, ein perfekter Vater zu sein, zum Scheitern verurteilt ist.  Ich muss einen Weg finden, um mit der Tatsache zurechtzukommen, dass er manchmal unglücklich und unzufrieden ist. Und dass er mir dafür sogar die Schuld geben wird. Aber das ist in Ordnung. Das ist sogar normal.

Nur ein guter Vater sein?

Ein neuer Gedanke beginnt sich in meinem Kopf zu bilden... Was, wenn ich „nur“ ein guter Vater wäre? Nicht perfekt. Nicht großartig. Nur OK. Gut genug. Jemand, der gelegentlich ausflippt, wenn’s zu viel wird. Jemand, der manchmal sagen muss: "Ich kann dich jetzt nicht helfen" oder "Mir ist das gerade zu viel, besprechen wir es später" oder "Ich weiß nicht" oder einfach mal „nein“ sagt. Ein durchschnittlicher Papa, der seinen Sohn enttäuschen darf und nicht immer in der Lage ist, das zu tun, was er sich wünscht, oder auch immer da zu sein, wenn er mich braucht.

Das ist ein befreiender Gedanke. Aber einer, mit dem ich gleichzeitig kämpfe. Ja, aber was ist, wenn ich etwas falsch mache, was ist, wenn er wirklich nicht OK sein wird? Was, wenn ich ihm Schaden zufüge? Was, wenn er mich wirklich brauchen würde und ich bin nicht da? Was, wenn er das Gefühl hat, dass ich ihn nicht liebe? Was dann?

Kinder brauchen keine perfekten Eltern

Dann erinnere ich mich an etwas, was ich von Jesper Juul gelesen habe: Kinder brauchen keine perfekten Eltern, sie brauchen Eltern, die gut genug sind, die ok sind, aber nicht perfekte Eltern! Sie brauchen auch Eltern, die authentische Vorbilder sind, und die ihren Kindern beibringen, für sich selbst zu sorgen, indem sie für sich selber sorgen und ihre Grenzen kennen und auch schützen.

Das Fenster der Hoffnung öffnet sich wieder und mit ihm das Gefühl der Befreiung. Wenn ich nicht perfekt sein muss, dann ist es einfacher, mit schwierigen Situationen umzugehen. Schwierige Situationen kommen vor und Teenager regen sich auf. Das ist in Ordnung. Es bedeutet nicht, dass ich ihn nicht liebe oder dass ich ein schlechter Vater bin. Es bedeutet, dass etwas anders ist, als er es sich wünscht und dass er sich damit schwertut. Er lernt, dass das Leben manchmal herausfordernd ist. Es ist eine schwierige Lektion, durch die wir alle hindurchmüssen:  lernen mit den Enttäuschungen des Lebens umzugehen. Und wenn es für mich in Ordnung ist, dass er manchmal verärgert ist, dann ist es auch in Ordnung, wenn ich „nein“ sage oder „nicht jetzt“. Dann ist es auch in Ordnung, dass ich auch manchmal überfordert bin oder mich aufrege. Es ist uns beiden erlaubt, unvollkommen zu sein, und nicht so schöne Gefühle zu haben. 

Ahh... das gibt mir Raum zum Atmen. Wieder verschiebt sich etwas in mir. Ich fühle mich weicher. Ich fühle mich offener. Und langsam kommt der Wunsch, nach Hause zurückzukehren.

Der Wunsch es wieder gut zu machen

Ich stehe auf und gehe langsam nach Hause. Und mit jedem Schritt wächst der Wunsch, mit meinem Sohn zu sprechen. Der Wunsch, mich für meine Explosion zu entschuldigen. Nicht weil ich es "muss", um ein guter Vater zu sein. Nein, weil ich es möchte. Weil ich meine Geduld in einem schwierigen Moment "verloren habe" und auch auf diesem Weg, den man Leben nennt, manchmal zu kämpfen habe. Und je mehr ich meine eigene Unvollkommenheit und mein eigenes Ringen akzeptiere, desto leichter fällt es mir seltsamerweise, seine Aufregung und sein Ringen zu verstehen. Und zu akzeptieren, dass es in Ordnung ist. Es fühlt sich an, als hätten wir ein geheimes Band; etwas Gemeinsames: Keine Perfektion – eigentlich eher unsere Unvollkommenheit - der Kampf, mit schwierigen Emotionen und Gefühlen umzugehen. Wir haben beide den Wunsch, gesehen zu werden -Und verstanden zu werden - geliebt zu sein.

Und das gibt mir die Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden wird. Denn ich spüre jetzt die tiefe Liebe zu ihm, die unter all dem Ringen immer da ist. Und obwohl ich nicht wissen oder kontrollieren kann, welche Höhen und Tiefen mein Sohn und ich durchleben werden. Ich weiß zumindest, dass wir uns ihnen nicht allein stellen müssen.

 

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