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  • Hintergrundbild 1: Das IGfB-Team © angelicajaud.com
  • Hintergrundbild 2: Beratungsgespräch © angelicajaud.com
  • Hintergrundbild 3: Beratungsgespräch © angelicajaud.com
  • Hintergrundbild 4: Workshop © angelicajaud.com
  • Hintergrundbild 5: Beratungsgespräch © angelicajaud.com
Junge in Badehose springt rückwärts von einem hohen Felsen ins Meer, Foto Credits: clicjeroendits / pixabay.com

Der Urlaub steht vor der Tür, und ich unterhalte mich mit meinem 16-jährigen Sohn über unsere Urlaubspläne. Ich freue mich, dass wir uns mit einigen Freunden treffen und dass meine Freundin und ihre Kinder auch dabei sein werden.

"Wenn sie mitkommt, dann komme ich nicht mit,“ sagt er sofort.

Ich bin schockiert. Was?!?!?!?!" Von einer Sekunde auf die andere ist mein Kopf leer. Ich denke nur noch in Schwarz und Weiß. Entweder läuft es so wie ich will und er verliert oder umgekehrt. Und damit kommt die Angst vor einer Entscheidung, die mir unmöglich erscheint und die ich nicht treffen will. Ich will mich nicht zwischen meinem Sohn oder meiner Freundin entscheiden.

Letztes Jahr ist vieles schief gegangen. Wir haben schon auf dem Weg in den Urlaub gestritten. Wir haben während wir dort waren fast jeden Tag gestritten. Und wir haben auch auf dem Heimweg gestritten. Einige Male hatte ich das Gefühl, es wäre entspannter, nicht im Urlaub zu sein. Zu viele widersprüchliche Bedürfnisse. Zu viele Emotionen. Zwei Familiensysteme, die sich immer wieder in die Quere kommen. Vier Teenager, die alle ihre Bedürfnisse erfüllt haben wollten. Zwei Erwachsene, die, gelinde gesagt, völlig überfordert waren. Und keine Freunde oder andere Möglichkeiten, sich auszutoben und schwierige Gefühle zu zeigen. Eine entspannte Zeit? Kaum.

Und mit seiner Erklärung "Ich komme nicht mit" überflutet mich die volle emotionale Erinnerung an das letzte Jahr. Die Wut. Die Beklemmung. Das Gefühl, festzustecken. Hilflos zu sein. Überwältigt zu sein.

Emotionaler Überfall

Durch meine Erfahrung als Family Counselor habe ich ein ziemlich klares Bild, was jetzt gerade mit mir passiert und was ich auch tun muss. Im Moment der Überforderung schaltet mein System von einer Sekunde auf den Nächsten auf Notfall um, und damit steigt auch die Bereitschaft zu Kämpfen oder zu Fliehen. Ich muss einen Weg finden, meine Gefühle zu fühlen, mit mir selbst wieder in Kontakt zu kommen. Ich muss mein System beruhigen, um wieder handlungsfähig zu werden.

Obwohl wir kopfgesteuerte Menschen sind, sind meine Gedanken hier nicht hilfreich, sondern befeuern nur meine Kampf-/Fluchtbereitschaft. Wir kommen erst über unsere Gefühle und körperlichen Empfindungen wieder mit uns selbst in Kontakt. Durch Selbstberuhigung und dem Ernstnehmen der eigenen Gefühle signalisieren wir unserem System „die Gefahr ist jetzt vorbei, jetzt ist es sicher“.  

Im Sommerurlaub letztes Jahr ist mir dies nicht gelungen. Mein Stresssystem war dauernd auf Stufe Rot, und die geringste Provokation veranlassten mich zum Angriff oder Flucht. Was natürlich nur die Abwehr meines Sohnes oder meiner Freundin aktivierte und zu einem ständigem:" Du hast gesagt", "Ja, aber du hast getan", "Nein, das warst du“ führte. Die Meinungsverschiedenheiten waren oft klein, aber die emotionalen Reaktionen waren groß!  Mein ständiges Kämpfen verhinderte, dass ich mich selbst wahrnehmen und fühlen konnte. Ich blieb stecken!  

In die Gefühle eintauchen

Ich atme also jetzt tief durch und erinnere mich daran, dass meine Gefühle einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben, und tauche ein. Was fühle ich? Ich probiere, das aufzuschreiben

  • Ich bin schockiert, dass mein Sohn so heftig reagiert.
  • Ich bin schockiert, dass es mich so vom Hocker gehaut hat.

Die bewegungslose Starre fühlt sich sehr fest an. Aber ich atme tief durch und mache weiter…

  • Ich habe Angst, dass mein Sohn nicht mit mir in den Urlaub fahren will…
  • Ich habe Angst, dass ich nicht mit meiner Freundin wegfahren kann…
  • Ich habe Angst vor weiterem Streit und Ungewissheit…

Während ich die Sätze schreibe, bleibe ich mit meiner Angst präsent. Ich fühle sie. Lasse sie zu. Ich versuche nicht, sie aufzulösen oder mein Denken zu aktivieren, in dem ich nach Lösungen suche. Ich schreibe meine Gefühle einfach auf. Ich spüre es tut gut. Ich habe viele Ängste, die mir nicht bewusst waren. Meine heftige Reaktion macht zunehmend Sinn. Ich bleibe dran. Was ist sonst noch da? 

  • Ich bin wütend, dass meine Freundin nicht mehr unternimmt, die Beziehung mit meinem Sohn zu verbessern.
  • Ich bin wütend, dass er nicht macht was ich gerne hätte.
  • Ich ärgere mich darüber, dass Patchwork so schwierig ist und dass wir dieses Gespräch führen müssen

Während ich meine Wut aufschreibe, spüre ich einen Energieschub. Ein Teil von mir will „ja aber“ sagen, die Wut verkleinern. Aber einen anderen Teil lässt die Wut zu. Ich muss nicht nur schöne Gefühle haben. Es nervt einfach und jetzt kann ich es zulassen. Es kommt auch der Wunsch, die Dinge zu ändern; Grenzen zu setzen oder für das einzutreten, was mir wichtig ist; aktiv zu sein. Ich spüre auch, welche meiner Wünsche oder Sehnsüchte für mich wichtiger sind. Ich versuche bewusst keine, Aktionspläne zu erstellen oder mich darin zu verfangen, wie ich diese Dinge verwirklichen kann. Ich lasse einfach zu, dass meine Wut jetzt da ist, dass ich sie spüre, wie sie steigt und sich wandelt. Und es kommen neue Gefühle…

  • Ich bin traurig, dass mein Sohn sich bei meiner Freundin und ihren Kindern anscheinend nicht wohl fühlt.
  • Ich bin traurig, dass wir in diesen Kämpfen stecken bleiben und die Zeit miteinander nicht genießen.
  • Ich bin traurig, dass ich diese Probleme gefühlt allein bewältigen muss.

Im ersten Moment fühlt es sich schwer und hoffnungslos an. Ich versuche nicht, mir einzureden, dass es nicht so schlimm ist. Ich lasse die Schwere zu. Und dann kommt ein kleines Loslassen. Ein annehmen, dass es so ist. Und die Trauer fühlt sich überraschenderweise erleichternd an. Ich mag es immer noch nicht, dass die Dinge nicht so sind, wie ich sie mir wünsche. Aber, ich kann auch anfangen sie zu akzeptieren. Jetzt ist es so. Das darf sein.  Und es steigt in mir eine Offenheit für das, was da ist auf.

  • Ich bin neugierig, wie mein Sohn den Urlaub letztes Jahr eigentlich erlebt hat
  • Ich bin neugierig, was er sich von den freien Tagen erhofft
  • Ich bin offen für neue Ideen und Vorschläge

Die Offenheit fühlt sich gut an. Wie ein Vertrauen in unsere Beziehung. Das bekommen wir schon hin. Es überrascht mich, wie schnell meine inneren Gefühle sich von Widerstand zu Offenheit verändert haben. Die Offenheit ist echt, nicht gezwungen. Und ich spüre plötzlich, was ich mir wünsche…

  • Ich möchte sowohl mit meinem Sohn als auch mit meiner Freundin in den Urlaub fahren können.
  • Ich möchte einen schönen Sommer haben,
  • Ich möchte, dass wir eine schöne Zeit miteinander verbringen
  • Ich möchte Zeit für mich, Zeit mit meinem Sohn und Zeit mit meiner Freundin.
  • Ich möchte, dass es unkompliziert ist… ahh… das möchte ich sehr!!!

Ich spüre mich wieder. Es tut gut. Ich kann wieder tief und frei atmen. Ich fühle mich wieder mit mir verbunden. Meine Füße fest auf dem Boden. Und es ist eine ganz andere Energie da.

Eine Änderung von Innen

Nachdem ich diesen Prozess durchlaufen habe, wird mir plötzlich bewusst, dass mein Drang zu kämpfen oder zu fliehen sich verändert hat. Es ist jetzt zum Wünsch geworden mit meinem Sohn und meiner Freundin zu sprechen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir eine Lösung finden werden. Aber ich habe nicht mehr das Gefühl, dass die Situation schwarz oder weiß ist, und dass es einen Gewinner und einen Verlierer geben wird. Ich bin jetzt bereit, meine, seine und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen. Und in allem will ich dem treu bleiben was mir wichtig ist.

Es entstehen in mir neue Wörter, die ausgesprochen werden möchten. „Tut mir leid, dass ich unser Gespräch über den Urlaub so blöd angefangen habe. In dem Moment konnte ich nicht reagieren, ich war überfordert. Aber ich habe gehört, dass du Bedenken hast. Können wir das Thema nochmals angehen. Ich würde gerne hören, wie es letztes Jahr für dich war, was du dir wünscht und würde dir auch gerne erzählen, wie es für mich war und was ich mir wünsche… 

 

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